Als Malergeselle Krauthobel die Tür zu seinem Stubenatelier öffnet, staunen hannah und Pit nicht schlecht. Was es da nicht alles zu sehen gibt! Bücherregale voller wertvoller Wissensschätze, Zeichnungen, überall hängen Bilder an der Wand! Während unsere Beiden den Raum mustern, welcher gut sieben Meter in Breite und Länge misst, hat Wilhelm den Tee aufgebrüht. "Nun erzählt mal, was hattet ihr nochmal für Fragen?" - " Also", holt Hannah aus, "Wir brauchen eine Fahrgelegenheit, welche uns nach Osten mitnehmen kann, am besten in Richtung Krakau!" "Und", unterbricht sie Pit aufgeregt, "Wir wollen wissen, warum ihr hier so ein grosses Klettergerüst habt, und vor allem, welches Jahr wir überhaupt haben!" "Was? das wisst ihr nicht?!" staunt Wilhelm. Und Hannah erzählt ihm ihre bisherigen Erlebnisse, welche der geduldige Zuhörer teils stirnrunzelnd, teils skeptisch entgegen nimmt...
"Das kann ich ja alles fast garnicht glauben!" hebt Wilhelm an und überlegt kurz, "Nun gut, ich kann morgen mit euch das Rathaus aufsuchen, denn ich will auch weiter nach Dresden, ich erhalte dort eventuell einen feinen Malauftrag, höchstwichtig, von der Obrigkeit persönlich!" Wilhelm schaut wichtig in die Runde, Pit zuckt die Schultern, "Vielleicht kann ich euch ja mit dieser staatlichen Transportgelegenheit mitnehmen, so als Gehilfen, oder so?!" "Au fein!" rufen Hannah und Pit wie aus einem Munde. "Gleich morgen werden wir deshalb das Rathaus aufsuchen, aber vorerst heisse ich euch herzlich Willkommen, über Nacht meine Gäste zu sein!" "Du bist ja lieb!" scharmeurt Hannah, indem sie fast Wilhelms Brillenglässer durchlöchert. "Na, dann kannst Du uns ja in Ruhe von dem riesigen Klettergerüst erzählen!", freut sich Pit. "Nun gut", meint Wilhelm daraufhin und breitet ein paar Skizzen auf dem Tisch aus.
"Also, ihr lieben! das Klettergerüst ist eine riesige Baustelle. Davon gibt es derzeit reichlich in Leipzig! Dieses Gebilde, welches man hier sieht, wird gerade unter eurem Klettergerüst seit 1898 gebaut, und zwar schon elf Jahre! In vier Jahren wird es voraussichtlich fertig werden" "Was, so lange wird dort gebaut?", staunt Pit. " Aber ja doch," erwidert Wilhelm, "das dauert so seine Zeit! Schliesslich wird es einmal 91Meter hoch sein, es wird am Fuss 126 Meter breit werden und hat dann eine Kuppel, die an der dicksten Stelle 28 Meter messen wird und 60 Meter hoch ist. Schaut nur! So sieht es fertig aus, diese 11 Meter grosse Figur wird dann davor als Relief entstehen. Sie soll den heiligen Michael darstellen. Insgesamt wurden hier 82 Tausend Kubikmeter Erde ausgehoben. Das ganze Denkmal wird einmal rund 300 000 Tonnen wiegen, da hauptsächlich Beton und sächsischer Granitporphyr beim Bauen verwendet werden." "Wow!" staunt Pit. Hannah, die ebenfalls aufmerksam zuhörte, rechnet: "1898 haben sie mit dem Bauen begonnen und nun bauen sie schon 11 Jahre? Na dann haben wir also 1909!" zwinkert sie Pit zu. "Stimmt!", meint dieser, "doch warum baut man so ein grosses Denkmal?
"Das Denkmal", fährt Wilhelm fort, " wird zum Angedenken den mehr als 100 000 bei Leipzig gefallenen Soldaten gewidmet, welche vom 16. bis 19. Oktober 1813 hier bei der grossen Völkerschlacht fielen. Es wird genau an der Stelle aufgebaut, wo die Schlacht am grausigsten tobte und wo damals die meisten Soldaten ihr Leben fürs Vaterland liessen." "Und warum heisst diese Schlacht Völkerschlacht?" will Pit es genau wissen. Hannah kaut derweil an den Fingernägeln. "Weil in dieser Schlacht sich das erste mal die unterjochten Völker zusammenschlossen, um gemeinsam gegen die französischen Unterdrücker zu kämpfen, welche seit Jahren unter ihrem Kaiser Napoleon Bonaparte halb Europa mit Eroberungskriegen heimsuchten. So stellten sie sich am 15. Oktober dem französischen Kaiser entgegen, am 16. kam es dann zur Schlacht. Dabei sah es anfangs nicht rosig aus! Die Franzosen waren sehr kampferprobt!"
Pit hört wissbegierig zu, während Hannah mit den Augen klappert, sie ist doch schon recht müde. Wilhelm fährt in seiner Schilderung fort: "Dennoch, zahlenmäßig überlegen, siegten die Heere der Österreicher, Preußen, Russen und Schweden über die Franzosen unter Napoleon. Bei der Schlacht fielen von etwa 400.000 beteiligten Soldaten etwa 130.000. Das war ein grosser Preis für die Freiheit der Völker Europas, der Sieg wurde mit vielen Opfern und zurückgelassenen Müttern , Frauen und Kindern erkauft.!" Nun schaut Hannah doch auf und sagt mit fester Stimme: " Ich denke jedesmal, wenn ich so etwas höre: Warum müssen die Menschen sich nur immer bekriegen! Bei dieser Schlacht ist es besonders schlimm: Es musste sein, sonst hätten die Menschen nie in ihrem Land in Freiheit leben können." "Da hast du recht", erwidert Wilhelm, "So und nun lasst uns zu Bett gehen, morgen ist noch einiges zu tun! Ihr schlaft im grossen Bett , jeder an einem Bettende, und ich nehme das Sofa!" Gesagt, getan: Nach diesem Tag fallen alle in einen tiefen Schlaf.
Der nächste Morgen bricht friedlich für unsere Freunde an. Er beginnt mit einem kräftigen Frühstück bei Wilhelm. Unterdessen erhebt sich auch die Leipziger Innenstadt und erwacht zum Leben. An einer Seitengasse in der Nähe hält ein Postmobil. Das ist etwas ganz Neumodisches, denn diese ersten staatlichen Kraftfahrzeuge ersetzen Stück für Stück seit 1905 die altgediente Postkutsche. Nicht jedem gefällt der Fortschritt. Besonders ein dunkler Schatten, welcher uns Lesern auffällig bekannt vorkommt und nun gerade eben aus dem nigelnagelneuen Gefährt steigt, flucht nicht gerade leise: "Zum Teufel mit deiner Mobildroschke, Postmann, alles riecht nach diesem, diesem...Benzol!" Und zum kopfschüttelnden Postkutscher wirft er noch hin: " und dann noch zwei Groschen für die Fahrt nehmen!" - Von all dem bekommen aber unsere Drei nichts mit. Frisch gestärkt befinden sie sich nun inmitten des bunten Treibens in der Messestadt.
"Zum neuen Rathaus geht es dort entlang," weiss Wilhelm, der Malergeselle zu berichten. Während die drei durch die Häuserschluchten ihrem Ziel entgegen ziehen, kommen ihnen viele Leute entgegen. Hier scheint immer Trubel zu sein. Gerade entdeckt Hannah eine eigentümliche Truppe: Ein Mann zieht anstatt eines Pferdes einen überladenen, grossen Leiterwagen. Zwei Buben und anscheinend deren Mutter versuchen, ihm bei dieser Fuhre von hinten schiebend zu helfen. "Nanu, sind das Zigeuner?" fragt Pit, dem diese Szene auch nicht entging. "Schön wär´s!", erfahren sie von ihrem wissenden Reiseführer. Die Armut bringt diese Menschen dazu, ihre Wohnung zu verlassen und eine preiswertere Bleibe zu finden. Seit die Industriellen noch mehr Profit ergaunern, gibt es immer mehr solche Szenen. Wer sich dagegen auflehnt, wird verhaftet. Erst vor zwei Jahren wurde ein gewisser Karl Liebknecht im hier sesshaften Reichsgericht des Hochverrates angeklagt!" Wilhelm fügt hinzu. " Aber psst! das darf man nicht laut sagen!" unter Flüstergesprächen erreichen sie das Neue Rathaus. "Boah! DAS ist aber gross", staunen wiederum Hannah und Pit.
"Das neue Rathaus ist eines der grössten in Deutschland gebauten Rathäuser, wenn nicht sogar das grösste!" vermeldet Wilhelm nicht ohne Stolz. "Kommt mit, ich muss zum Herrn Huber, ins Zimmer 324!" nachdem es gefunden ist, sehen sich unsere drei Freunde dem biederen Herr Huber gegenüber. " Mein lieber Krauthobel, was bringt er denn mit!" spricht Herr Huber im besten Beamtendeutsch und zeigt auf Hannah und Pit. "Das sind meine zwei Helfer, und ich wollte fragen, ob diese auf mein Reisebillet morgen mitfahren können!" - "Oha, mein Lieber! das geht nicht, wie sollen wir das verbuchen?! - Obwohl, ich habe da vielleicht eine Idee!" schaut der Beamte Huber wichtig zwinkernd in die Runde. "Ja?" fragt Wilhelm. "Lieber Krauthobel, wir geben doch in zwei Tagen zu Ehren des 500. Jahrestages der Gründung unserer ehrenwerten Universität zu Leipzig ein Fest und ein Konzert im Gewandhaus. Ach könnten´se die Bühne dort nicht ein wenig zieren, ich würd mich ihrer Bitte bezüglich erkenntlich zeigen!" Pit, Hannah und Wilhelm schauen sich mit grossen Augen an...
Was war das nun schon wieder? Müssen Pit und Hannah nicht so schnell wie möglich weiter, da sie ja eigentlich in zwei Monaten zurück sein müssen? Ist auf der anderen Seite die in Aussicht stehende Reise auf Staatskosten nicht auch wiederum schnell und sicher? Und was sucht der Doktor hier, sucht er eventuell immer noch Hannah und Pit? Wir werden es vielleicht erfahren: im nächsten Kapitel.
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